22. Dezember 2020
Im April 2013 starb mein jüngster Bruder an Krebs. Er wurde 23 Jahre alt. Damals brach für mich eine Welt zusammen. In diesem Artikel beschreibe ich 6 Wege im Umgang mit dem Tod, die mir dabei geholfen haben, diese Krise zu überstehen. Schön wäre es, wenn sie auch dir helfen.
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1. Sei lieb mit dir
Wenn du mit dem Verlust einer nahestehenden Person konfrontiert wirst, nimm dir die Zeit und die Geduld, dir selbst zu sorgen. Es ist in Ordnung, wenn du kurzfristig Termine absagst, weil du dich einfach danach fühlst alleine zu sein oder keine Energie mehr hast. Nimm dir diese Freiheit. Es ist auch ganz normal, wenn du dich alle paar Minuten unterschiedlich fühlst. Leben hat dir gerade eine heftige Erfahrung erteilt.
Gleich nach dem Tod meines Bruders, war es für mich sehr schwierig meine Freunde zu sehen, weil ich mich wie hinter einer Glaswand eingeschlossen fühlte, welche mich vom Leben abschnitt. Leben passierte auf der anderen Seite der Wand. Ich fühlte mich im tiefsten Sinne Leer.
Solltest du viel Schlaf gebrauchen, weil du immer müde bist, gesteh dir dies zu. Du musst gerade viel verarbeiten und das macht zum einen müde und zum anderen hilft Schlaf beim Verarbeiten, zumindest ging es mir so.
Meine grundlegende Überlebensstrategie war mich an Tagespläne zu halten und diese durchzuziehen. Um 7.30 Uhr aufstehen, drei Mahlzeiten essen, egal ob ich hungrig war oder nicht, abends zur gewohnten Zeit schlafen gehen.
Jeder Mensch muss individuell mit dieser Situation umgehen, du darfst also einfach auf dich hören. Dies war mein erster der 6 Wege im Umgang mit dem Tod.
2. Lebensberater
Durch eine Bekannte erfuhr ich vom Sommerkurs am Bill Esper Studio in New York City. Um dort teilnehmen zu können, muss man das Buch «The Actor’s Art and Craft», geschrieben von William Esper und Damon DiMarco, lesen. Das Geschriebene überzeugte mich so sehr, dass ich mich für den Schauspielkurs anmeldete.
Folgender Satz hat mich am meisten gefesselt: «To an observer, it should appear as if they’ve rehearsed what they’re doing over and over again – that’s the final measure of a true improvisation.» Ich wusste schon länger, dass ich Improvisation beherrschen wollte, da ich 2008 bei BATS IMPROV Szenen gesehen hatte, welche improvisiert waren, aber wie perfekt inszenierte Szenen wirkten.
Der Sommer 2014, in New York, war auf vielen Ebenen heilsam. Zum einen half mir Schauspielerei zum zweiten Mal mich selbst zu spüren und hat mir damit zum zweiten Mal mein emotionales Leben gerettet. In New York habe ich Freundschaften fürs Leben geschlossen, einige meiner besten Freunde leben in den USA. Ich habe mich ein weiteres Mal in New York verliebt. New York ist meine absolute Lieblingsstadt, ich mag ihre dichte Energie und diese Kombination und Diskrepanz von Kreativität und Wirtschaft, welche sie ausmacht.
Was mir aber am meisten geholfen hat, war das ich aus meinem Hamsterrad herausgeholt und auf mich selbst zurückgeworfen wurde. Während den ersten zwei Wochen gestand ich mir ein, dass ich den Tod meines Bruders mit Nichten verarbeitet hatte, dass ich dabei war mich wieder zu verlieren und dass ich jetzt zu viel erlebt hatte, um mich alleine aus dem komplexen Sumpf meines Seins herauszuholen. Ich musste mir eingestehen, dass ich Hilfe brauchte, wenn ich mit diesem traumatischen Erlebnis und allen anderen traumatischen Erlebnissen klarkommen wollte.
Zwei Kriterien waren mir besonders wichtig bei der Wahl der Person welche mir helfen sollte. Zum einen sollte sie niemanden aus meiner Familie kennen, damit sie sich nur auf mich und meine Perspektive konzentrieren würde, und zum anderen sollte sie ein gewisses Verständnis für Theater haben. Die Frage, wer mir helfen könnte, beschäftigte mich von Ende Juni bis Ende September 2014. In diesem Zeitraum erinnerte ich mich an einen Co-Statisten, welchen ich auf dem Dreh zum Bollywood Film «Mausam 2011» kennengelernt hatte. Diya W. Peter hatte mir damals gesagt, dass er als Lebensberater arbeitet und damit erfüllte er beide meiner Kriterien.
Wir vereinbarten im Oktober 2014 als erstes eine Probesitzung. Diese war erfolgreich und seither treffen wir uns in monatlichen Sitzungen. Wenn ich gewusst hätte, wie sehr mir der richtige Lebensberater helfen würde, hätte ich mir wohl früher Hilfe zugestanden. Durch diese Zusammenarbeit bin ich emotional erwachsen geworden, die Traumatisierungen und verhärteten Gefühle sind durch emotionale Durchlässigkeit ersetzt worden, was meine Überemotionalität zum grössten Teil eliminiert hat.
Es gibt immer noch Arbeitsthemen und Auslöser, an denen ich arbeite, aber es geht mir gut. Mir hat ein Lebensberater sehr geholfen. Ob dies ein Weg für dich ist, musst du für dich entscheiden. Jedenfalls war dies mein zweiter der 6 Wege im Umgang mit dem Tod.
Das Buch «The Actor’s Art and Craft», geschrieben von William Esper und Damon DiMarco.
Dank diesem Buch habe ich mich für den Sommerkurs 2014 am Bill Esper Studio angemeldet.
3. Kunst
Dieses Video kann für Personen mit Epilepsie gefährlich sein.
Wie schon erwähnt, hat mir Schauspielerei damals sehr geholfen, um mich selbst zu spüren. Da ich aber sehr Mühe hatte Gefühle zu zeigen, da diese alle verknotet und heruntergeschluckt und dadurch verhärtet in mir waren, kamen diese nicht heraus.
Im Jahr 2013 veröffentlichet Taylor Swift das traurigste Album, welches sie möglicherweise jemals geschrieben hat. Mir hat ihre Musik auf dem Album «Red» durch seinen Ausdruck von Schmerz sehr geholfen. Gerade das Lied und die Zeile «Come Back…Be Here» war sowas von passend.
Da mein Bruder den Jahrgang wie Taylor Swift teilte, war auch das Lied «22» wichtig für mich, da ich in der Zeit von Diagnose und Tod zwischen Hoffnung, Angst und Trauer hin und her gerissen war. Taylor Swift’s Musik begleitet mich seither. Aus meiner Sicht hat sie eine einzigartige Gabe Gefühle und Situationen in Musik und Reime umzuwandeln. Für mich ist Sie eine grossartige Lyrikerin.
Zwei Jahre, nachdem mein Bruder gestorben war, fing ich die Berufsmaturitätsschule für Gestaltung und Kunst in Zürich an. Die Aufnahmeprüfung hatte ich schon 2014 absolviert und zu meiner eigenen Überraschung bestanden. Da ich mir aber über alles in meinem Leben unsicher war, fing ich erst 2015 mit der Ausbildung an. Diese Entscheidung war eine der Besten meines Lebens, weil ich in die beste Klasse, meiner gesamten Schulkarriere, eingeteilt wurde. Wir sehen uns jetzt noch jährlich zum Klassentreffen, was die lustigsten und schönsten Abende meines Lebens bedeuten.
Neben dieser wundervollen Klasse durfte ich vier Lektionen die Woche kreativ sein. Meine Abschlussarbeit in Kunst, zum vorgegebenen Thema «Resonanz», machte ich über meinen persönlichen Prozess, welchen ich seit dem Tod meines Bruders durchlaufen hatte. Kunst ist mein dritter der 6 Wege im Umgang mit dem Tod.
Das Album «Red» von Taylor Swift, welches mir sehr geholfen hat.
4. Gute Freunde
Zwei meiner Freunde waren wirklich wichtig in der schwierigen Zeit damals und sind es heute noch. Zum einen hat sich einer meiner Freunde die Zeit genommen extra eine Stunde aus der Stadt zu meiner Arbeit zu fahren und mit mir zu Mittag zu essen, um mich ernsthaft zu fragen, wie es mir gehe. Diese Geste habe ich sehr geschätzt. Auch wenn ich ehrlichgesagt gar nicht wusste, wie es mir geht, da meine Gefühle grundsätzlich Achterbahn fuhren oder inexistent waren. Damals sagte ich oft, dass es mir unterschiedlich gehen würde.
Zum anderen hatte ich eine Freundin, die mir vorbehaltlos zuhörte und mich die Seele vom Leib reden ließ, egal wie schlimm oder komisch oder bescheuert meine Aussagen waren. Das hat mir sehr geholfen, auch wenn sich meine Freundin wohl Sorgen gemacht hat. Solange eine Person über schlimme Dinge redet besteht Hoffnung. Erst wenn diese Person zu schweigen beginnt und für sich abschliesst, wird es wirklich gefährlich.
Damit du eine gute Freundin oder ein guter Freund sein kannst, empfehle ich dir einen ENSA Kurs bei Pro Mente Sana. Dort lernst du erste Nothilfe für psychische Gesundheit. Gute Freunde sind mein vierter der 6 Wege im Umgang mit dem Tod.
5. Tägliche Rituale
Es hat mich vier Jahre Zusammenarbeit mit meinem Lebensberater gebraucht, um tägliche Rituale in mein Leben einführen zu können, und dass obwohl er mir schon in der zweiten Sitzung ein Ritual als Aufgabe mitgab. Die Aufgabe war jeden Abend fünf Dinge aufzuschreiben, für die ich dankbar war. Erst im Sommer 2017, konnte ich wieder Dankbarkeit empfinden und seither schreibe ich diese fünf Dinge jeden Tag auf.
Ein zweites Ritual, welches mir hilft, ist tägliche Meditation. Dies kann morgens oder abends sein und dauert bei mir in etwa 10–15 Minuten. Während der Kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene praktizierte ich morgens Teemeditationen am Zürichsee mit Blick auf die Berge. Diese Zeit zur inneren Fokussierung mit dieser wunderschönen Umgebung hat mir sehr viel Energie gegeben.
Rituale helfen mir meinen Tag zu strukturieren und mich emotional stabil zu halten. Dank ihnen nehme ich mir mehrmals am Tag 5–10 Minuten Zeit, in denen ich mein Denken, meine Perspektiven und meine Gefühle wahrnehme, anerkenne und reflektiere. Kurzgesagt, ich übe mich in Achtsamkeit. In diese Achtsamkeit für meinen Gefühlskanon gehört auch die Trauer über den grossen Verlust meines Bruders und wie ich am besten damit umgehen kann. Rituale ist mein fünfter der 6 Wege im Umgang mit dem Tod.
6. Zeit
Sei geduldig mit dir, wenn es darum geht mit dem Verlust und dem Schmerz, den der Tod einer nahestehenden Person auslöst, umzugehen. Mich hat das Verarbeiten des Schmerzes in etwa sechs Jahre gebraucht. Dabei habe ich mich stark verändert, deshalb rate ich von unwiderruflichen Lebensentscheidungen in dieser Zeit ab.
Im Trauerprozess von Verena Kast, welcher in vier Phasen eingeteilt wird, habe ich meinen persönlichen Trauerprozess wiedererkannt. Sie beschreibt diesen ausführlich in ihrem Buch «Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses». Dabei geht es in der ersten Phase darum, dass man den Verlust nicht wahrhaben will. Dies war für mich die Zeit von dem Tod meines Bruders bis zur Erkenntnis, dass ich mir helfen lassen muss.
Die zweite Phase bezeichnet Verena Kast als die Phase, in der die Emotionen aufbrechen. In New York konnte ich diesen Verlust zum ersten Mal beweinen. In der dritten Phase sucht, findet und trennt man sich in gewisser Weise von der Person, welche man verloren hat. Freunde meines Bruders haben mir ähnliche Verhaltenszüge aufgezeigt, aber weiter kann ich mich nicht bewusst an diesen Prozess erinnern. Die verlorene Person soll nach Verena Kast im besten Fall ein «innerer Begleiter» werden, der mit der Entwicklung von, in diesem Fall mir, mitwächst.
In der vierten und letzten Phase findet die trauernde Person einen neuen Welt- und Selbstbezug. Diesen Punkt kann ich aus meiner Erfahrung voll und ganz unterstützen. Meine Selbst- und Fremdwahrnehmung hat sich fundamental, aber positiv, verändert. In dieser Phase wird der Verlust akzeptiert.
Natürlich gibt es immer noch Momente, in denen ich über diesen Verlust sehr traurig bin, aber die meiste Zeit ist es okay. Manchmal kann ich für diese Erfahrung sogar dankbar sein, weil sie für mich ein Weckruf war und mich diesen wertvollen Wachstumsprozess durchlaufen liess. Zeit nehmen und Zeit geben ist mein sechster der 6 Wege im Umgang mit dem Tod
Das Buch von Verena Kast «Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses»,
in welchem ich meinen Trauerprozess wiedererkannt habe.
Vielleicht magst du mir von deinen Schicksalsschlägen erzählen? Wie bist du mit einem grossen Verlust umgegangen? Haben dir andere oder ähnliche Dinge geholfen wie mir?
Ich höre dir gerne zu.
Von Herzen,
Isabel